Macht Wissen wirklich mächtig?

Macht Wissen wirklich mächtig?

Die Mehrzahl der Menschen hat gar keine Ahnung davon, welchen Schatz an Wissen jede und jeder von ihnen mit sich herumträgt. Sie sind sich dessen nicht bewusst. Damit allerdings liegt dieses Wissen brach.

Ganz ohne Zweifel: ein Satz wie „Was wissen SIE denn schon?“ dürfte von den meisten Menschen als Beleidigung empfunden werden … und das zu Recht.

Doch diese Wirkung beruht einzig und allein auf der Betonung, denn „Was WISSEN Sie denn schon?“ ist eine durchaus berechtigte Frage, deren korrekte Beantwortung die meisten Menschen in Staunen versetzen würde.

Formel: Wissen = Macht?

„Wissen ist Macht“, so ein geflügeltes Wort, dessen Ursprung gemeinhin auf den englischen Philosophen Francis Bacon zurückgeführt wird. Doch dies stimmt nur dann, wenn es sich um ein beliebig und frei verfügbares Wissen handelt, das – da hinreichend vernetzt – jederzeit und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen eingesetzt werden und so zu kreativen Lösungen – nicht nur, aber auch – von Problemen beitragen kann.

Die Art und Weise, wie wir Informationen, die wir bewusst oder unbewusst erfahren und wahrnehmen, in Wissen umwandeln und wie wir dieses Wissen dann im Gedächtnis abspeichern, kann dieser Verfügbarkeit durchaus im Wege stehen. Denn das, was wir schließlich als „Wissen“ bezeichnen, ist kein unwandelbares Faktum, kein Absolutum. Es ist das Ergebnis eines individuellen Prozesses, in dem Informationen, die potentiellen Wissensinhalte, geprüft, selektiert und zugeordnet werden.

„Wissen“ ist nicht „einfach da“, genauso wie „Denken“ nicht einfach da ist. Es entsteht. Und das bedeutet: es kann in einem bestimmten Maße beeinflusst, kann erlernt und auch nachträglich verändert werden, indem die einzelnen Schritte des Prozesses des Zusammenfügens zu „neuem“ Wissen und schließlich dessen bisherige Resultate beeinflusst werden.

Die Hierarchie des Wissens

Wissen zu entwickeln folgt bestimmten Regeln und Strukturen, die von Hierarchien abhängig sind und geprägt von Vorstellungen und Denkmustern, die wir für uns selbst adaptiert und möglicherweise schon wieder variiert haben.

Jede Information, die wir unserem Wissensschatz zuordnen, erhält innerhalb dieses Vorgangs eine Qualifizierung: wir weisen ihr eine generelle Relevanz zu und wir legen Bedeutungszusammenhänge fest, wir kategorisieren den primären Kontext der Information. Dabei werden – mal bewusster, mal unbewusster – durchaus komplexe Muster gebildet. Je mehr faktische und vor allem emotionale Bezüge wir zu einer Information herstellen können und je wichtiger uns die Themenbereiche sind, mit denen wir sie in Verbindung bringen, desto höher steigt der Inhalt innerhalb der Hierarchie unseres Wissens.

Die „Filter“ für Auswahl und Zuordnung der Wissensinhalte sind jedoch nicht nur bereits vorhandene Wissensinhalte, sind nicht nur solche von praktischer Funktionalität hinsichtlich der Lebensbewältigung und Umweltaneignung. Da Menschen soziale Wesen sind, kommen hier insbesondere auch sozio-kulturelle Aspekte zum Tragen. Mit anderen Worten: Es findet nicht nur eine Kategorisierung nach thematischen Bezügen statt, sondern auch eine Bewertung anhand der gesellschaftlichen, religiösen, ethischen Normen und Vorstellungen, die wir verinnerlicht haben und denen wir uns verbunden fühlen.

Wie generieren wie unser Wissen?

Letzten Endes tut jeder Mensch beim Prozess der Wissensgenerierung das, was etwa religiös fanatisierte Eltern zu tun versuchen, die ihre Kinder nach „eigenen“ Vorstellungen erziehen, um sie gegen Wissensinhalte abzuschirmen, die ihren persönlichen Glaubensvorstellungen zuwiderlaufen.

Die Ergebnisse sind auch jeweils gleich: Eine Beschränkung des Wissens, damit des Denkens, die sich natürlich wiederum in einer Beschränkung des Handelns ausdrücken muss; denn was man nicht einmal denken kann (oder sich denken zu dürfen erlaubt), das kann man nicht in die Tat umsetzen. Und das heißt nichts anderes als: eine Reduzierung der Kreativität und damit der Möglichkeit zur praktischen Lebensbewältigung.

Niemand kann sich diesem Effekt völlig entziehen. Denn bereits im Gebrauch der Sprache und ihrer Begriffe werden unterbewusst Wertungen und Normen transportiert.

Trotzdem können diese Barrieren überwunden, können Wissensinhalte aus den Blockierungen solcher Zuordnungen gelöst und für kreative Prozesse ungehindert zugänglich gemacht werden. Und das ohne Schaden zu nehmen.

Ein Beispiel dafür sind etwa Fallanalytiker der Strafverfolgungsbehörden, die lernen, sich im Denken von ihren eigenen moralischen Ansprüchen und Grenzziehungen zu distanzieren, um sich in die Gedankenwelt von Verbrechern versetzen zu können. Sie werden dabei nicht selbst kriminell, ihre eigenen Wertsysteme bleiben intakt – aber sie lernen zu verstehen, an welchen Stellen diese Werte sich im Denken bemerkbar machen, wo sie Wissensinhalte beeinflussen und binden.

Philosophie – Die Liebe zum Wissen

Damit ist auch bereits der Weg beschrieben, der zum gewünschten Ergebnis eines freien Einsatzes des eigenen Wissens führt: es ist ein Prozess des bewusst Machens und der Neuausrichtung des Denkens, einer nachgeraden Entprägung von lieb gewonnenen Mustern und Vorstellungen, ein Vorgang der Entemotionalisierung. Und somit ist es nicht die Disziplin der Psychologie, die hier Anleitung geben kann, denn ihre Gebiet ist die Klassifizierung und Bewertung von Verhalten, die Definition von Normalität und von Abweichungen dieser Normen.

Es ist die Philosophie, die die Antworten bereit hält.

Das mag manchen Menschen erstaunlich erscheinen – und wenn dem so ist, dann ist dies ein sehr einfaches und praktisches Beispiel für die Macht des zuvor beschriebenen Prinzips. Wer glaubt, Philosophie sei per se „abgehoben“ und habe wenig mit der Bewältigung des täglichen Lebens zu tun, dessen Wissen um den Gegenstand und die Möglichkeiten dieser Geisteswissenschaft ist offensichtlich mit einer Bewertung versehen, die ihn daran hindern wird, hier nach den Wegen aus den bereits eingefahrenen Einbahnstraßen seines Denkens zu suchen: eine geistige Blockade, die ihm das Leben unnötigerweise erschweren kann.

Eigentlich ist die Idee recht naheliegend und damit fast banal, dass eine Disziplin, die sich mit dem Denken des Menschen befasst, mit der Art, wie er selbst durch sein Denken und das daraus resultierende Handeln sein Sein und Dasein bestimmt, am ehesten die Beschränkungen dieser Prozesse identifizieren und Wege zu ihrer Beseitigung schaffen kann.

Doch es sollte sich niemand schlecht fühlen oder gar schämen, weil er noch nicht auf diesen Gedanken gekommen ist.

Ein Blick auf die überaus junge Geschichte der sich gerade erst noch entwickelnden Kognitionswissenschaften zeigt, dass er sich in einer langen und vielerorts noch andauernden Tradition befindet.

Die geistige Auseinandersetzung mit dem Thema „Wissen“, mit den Fragen, was es bedeutet, wie es entsteht, welche Möglichkeiten es wann, wie und wo eröffnet und welchen Grenzen es unterliegt, wie es die Realität konstituiert, prägt, verändert, hat eine – gemessen an unserer Lebensspanne – fast endlos erscheinende Tradition in der Philosophie. Entsprechend viele Meinungen, Ansätze und Theoreme gibt es dazu.

Aus der Fülle dieser Gedanken und Erkenntnisse schöpft die Methode der „Wissensaktivierung“, die eines der immer noch seltenen Verbindungsstücke zwischen der Welt rein geistiger Auseinandersetzung und der rein praktischer Nutzanwendung darstellt.

Raus aus den Blockaden

Sie wurde geschaffen mit Blick auf die Bedürfnisse von Menschen, die im Beruf kreativ sein müssen, von denen Innovationen, Ideen und Problemlösungen verlangt werden; das trifft also auf Künstler ebenso zu wie auf Führungskräfte in der Wirtschaft.

In einem mehrstufigen Prozess werden zunächst die vorhandenen geistigen Blockaden, die Zuordnungen und Wertungen, die Wissensinhalte blockieren, identifiziert und analysiert. Dieser analytische Prozess bildet bereits die Grundlage für ein verändertes Denken, das zu einer dauerhaften Umgestaltung des zuvor beschriebenen Prozesses der Wissensgenerierung führt. Es macht ihn in einer Weise transparent und nachvollziehbar, also bewusst, die erneute Blockadenbildung verhindert.

Erste wichtige Schritte in diese Richtung können bereits innerhalb zweitägiger Seminare unternommen werden. Der Gesamtprozess allerdings setzt ein intensives Coaching voraus, das zwischen sechs und 24 Monaten erfordert.

Der Unterschied zu herkömmlichen Coaching-Prozessen besteht – abgesehen von der Methode – im Resultat. Statt anhand der Analysen von früheren Erfolgen nach Mustern zu suchen, die diese reproduzierbar machen, wird auf eine Erweiterung der Erkenntnis und eine Veränderung des Denkens abgezielt.

Anders gesagt: Wo traditionelles Coaching reaktiv bleibt und in seinen Wirkungen fraglich (da es situative Varianten nur bedingt berücksichtigen kann), ermöglicht die Wissensaktivierung eine aktive und dauerhafte Optimierung des Denkens und Handelns und steigert die Anlage zu kreativen Prozessen.

Aus alt mach neu

Denn alle kreativen Prozesse basieren auf der Fähigkeit, bereits Vorhandenes neu zu ordnen, zu variieren, indem eben die festen Zuordnungen von Wissensinhalten aufgehoben und sie damit frei verfügbar gemacht werden.

Das Auffinden und Bilden von Analogien, die Übertragung von Erkenntnissen und Problemlösungen aus einem nicht verwandten Wissensbereich in die Anwendung eines anderen, wird als „Synektik“ bezeichnet und ist eine anerkannte Kreativtechnik, die während der letzten Jahrzehnte vor allem im Bereich der Ingenieurwissenschaften immer wieder erfolgreich angewandt wurde, indem Beispiele aus der Natur (z.B. die Konstruktion von Insekten- oder Vogelflügeln) in technische Innovationen (in diesem Fall aerodynamische) umgesetzt wurden.

Wer die Dinge und Menschen nur so wahrnimmt, wie sie sich ihm aufgrund seines aktuellen Weltverständnisses darstellen, ohne ihre Potenziale zu erkennen und nicht in der Lage ist, ähnliche Muster und Strukturen zu finden und zu deuten, wer also in der Einschränkung geistiger Blockaden verharrt, der wird an vielen Stellen des praktischen Lebens an Grenzen stoßen – obwohl er das zur Lösung der jeweiligen Probleme, zur Beherrschung der jeweiligen Situation nötige Wissen besitzt. Er kann nur nicht frei darüber verfügen.

„Wissen ist Macht“, wenn man weiß, was man weiß und wie man damit umgehen kann. Wissen, das gebunden ist, von Vorurteilen und Wertungen blockiert, führt hingegen zur Ohnmacht jenen gegenüber, die gelernt haben, ihren Wissensschatz kreativ in jeder Situation nutzbar zu machen.

Letzten Endes wird nicht der im Sinne dieses geflügelten Wortes am mächtigsten sein, der das meiste Wissen besitzt, sondern der, der am flexibelsten mit ihm umgehen kann. Mit anderen Worten also: Macht hat, wer durch Wissensaktivierung sein Wissen von Blockaden befreit und lernt, es im synektischen Sinne variabel in kreativen Prozessen neu einzusetzen.

Autor/in: Armin Rütten
Veröffentlicht am 27. Februar 2012

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