Vom Wahlfach Flugwesen bis zum selbst konstruierten Motorsegler

Am 23. August 1911 erließ das Sächsische Ministerium des Innern eine Verordnung, die die Einführung des Wahlfaches Flugwesen an der Chemnitzer Gewerbeakademie ermöglichte. Es gab damit einem Antrag von Direktor Karl Robert Mühlmann und Lehrer Dr. Ernst Bock nach, die sich für die Verbreitung des Luftfahrtgedankens in Chemnitz und vor allem an der Akademie einsetzten. Im Wintersemester 1911/12 konnten erstmals Gewerbeakademiker im sechsten Semester und Maschinenbau-Schüler im dritten Semester das Wahlfach Flugwesen belegen. Der Lehrplan sah eine Wochenstunde vor, es unterrichtete Dr. Bock. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges konnte dieses Wahlfach belegt werden.

Die Geschichte der Lehre und Forschung rund um die Luftfahrt an den Vorläufereinrichtungen der Technischen Universität Chemnitz hat Luftfahrthistoriker Karl-Dieter Seifert erforscht. In seinem aktuellen Buch „Die Chemnitzer Akademie und ihre Flugzeuge 1910-1945“ beschreibt er den Weg von den ersten Aktivitäten von Direktor Mühlmann und Lehrer Bock im Jahr 1910 bis zur Einstellung der flugtechnischen Ausbildung am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Seifert forschte im Universitätsarchiv der TU Chemnitz, im Stadtarchiv und Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz, im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden, im Deutschen Museum in München und im Deutschen Technikmuseum in Berlin sowie im NASA-Archiv im Internet und im Nachlass des Studenten Herbert Gropp. Auf 102 Seiten und mit 58 Abbildungen zeichnet er detailliert die Entwicklung der flugtechnischen Ausbildung in Chemnitz nach. Das Buch ist erhältlich im Buchhandel, beim Nora-Verlag unter http://www.nora-verlag.de sowie beim Autor unter DSei648990@aol.com.

Richtig in Schwung kam die Entwicklung 1928: Studenten gründeten die Akademische Fliegergruppe Chemnitz (Akaflieg). Als erstes Flugzeug bauten sie einen Schulgleiter. Es folgten der Motorsegler „Zaunkönig“, eine Konstruktion des Studenten Herbert Gropp, und mehrere Segelflugzeuge. 1932 begann der Aufbau einer Unterabteilung Flugwesen mit einem flugtechnischen Praktikum in eigener Werkstatt. „Segelfliegen gehörte zum Studium“, berichtet Seifert. 1936 erhielt die Akademie die Anerkennung als luftfahrttechnische Lehrstätte. Aus dem flugtechnischen Praktikum entstand die Flugtechnische Arbeitsgemeinschaft (FAG), die finanziert wurde von der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt. „Ein absoluter Höhepunkt für die Segelflieger der FAG, die Erfüllung eines jahrelangen Traums, war die erste Teilnahme am Rhön-Wettbewerb 1938 mit einem selbstkonstruierten Flugzeug, der C11“, so Seifert. Student Hans Wünscher schloss den Wettbewerb auf dem 41. Rang ab. Ihm gelangen an fünf Tagen Streckenflüge, der längste über 251 Kilometer bis Riesa an der Elbe. Zum Vergleich: Die beiden Tagesbesten landeten nach 328 Kilometern auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof.

Ging es zunächst auch während des Zweiten Weltkrieges mit der Entwicklung der flugtechnischen Ausbildung in Chemnitz steil bergauf, so endete sie schon bald jäh: Nach einem schweren Luftangriff in der Nacht vom 5. auf den 6. März 1945 brannten die Werkstatt, das Büro und die Konstruktionsräume der FAG in der ehemaligen Heckerschen Fabrik an der Georgstraße aus. Hierbei wurden vier Flugzeuge und zahlreiche Unterlagen zerstört. „Direktor Prof. Dr. Paul Schimpke und die Mitarbeiter der FAG kämpften um das Weiterbestehen, doch ihre sinnlosen Aktivitäten gingen im Inferno der letzten Kriegstage unter“, berichtet Seifert. Die Geschichte der Abteilung Flugtechnik und der FAG fand damit ihr Ende.

„Chemnitz als Luftfahrtzentrum ist ein eher ungewohntes Bild. Und doch ist die Chemnitzer Geschichte voll von bedeutenden Entwicklungen und Ereignissen auf diesem Gebiet“, sagt Seifert. „Faszinierend sind für mich die Leistungen der Studenten, die sich in verschiedenen Flugzeugkonstruktionen niederschlugen. Viele der Absolventen traten in der Praxis mit beachtenswerten Leistungen hervor. Das darf nicht vergessen werden“, berichtet der Autor von seinen Recherchen.

Weitere Informationen unter: www.tu-chemnitz.de

Veröffentlicht am 17. August 2011