Uni Würzburg rehabilitiert Wissenschaftler

Die Würde zurückgeben: 187 Wissenschaftlern wurde in der Zeit zwischen 1933 und 1945 an der Universität Würzburg zu Unrecht der Doktorgrad aberkannt oder vorenthalten. Mit einem Festakt in der Neubaukirche hat die Uni jetzt die Betroffenen öffentlich rehabilitiert.

Der 2. Juni 1911 war für Arthur Mayer ein glücklicher Tag: Drei Tage nach seinem 24. Geburtstag verlieh ihm die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Würzburg den Doktorgrad. Mit dem „Dr. jur.“ in der Tasche ging Mayer nach München und startete dort eine erfolgreiche Karriere als Rechtsanwalt.

Wenige Jahre später war mit dieser Karriere jedoch Schluss: Die Nationalsozialisten hatten inzwischen in Deutschland die Macht übernommen. Wegen dessen jüdischer Wurzeln verboten sie Mayer – so wie vielen anderen Akademikern auch – die Berufsausübung und zwangen ihn zur Emigration in die USA.

Auch seines Doktorgrades wurde Mayer beraubt: Die Universität Würzburg entzog ihm am 28. Mai 1940 die Doktorwürde, da er wegen seiner Auswanderung die deutsche Staatsangehörigkeit „strafweise“ verloren hatte.
Systematische Depromotionen in ganz Deutschland

Das Schicksal Mayers ist kein Einzelfall: In den Jahren von 1933 bis 1945 entzogen Universitäten in ganz Deutschland reihenweise Absolventen ihre Titel. In Würzburg waren 184 Wissenschaftler davon betroffen – darunter auch so Prominente wie Ernst Bloch. Die Nationalsozialisten nutzten das „Depromotion“ genannte Verfahren systematisch, um damit jene Akademiker herabzuwürdigen, die ihnen aus politischen oder ideologischen Gründen unliebsam waren. Davon betroffen waren mehrheitlich jüdische Akademiker. Neben den 184 unrechtmäßigen Depromotionen sind auch 3 Würzburger Fälle bekannt, in denen trotz bestandener Doktorprüfung die Doktorurkunde nicht verliehen, der akademische Grad also vorenthalten wurde.

Die Depromotion war dabei nur eine Maßnahme unter vielen, mit denen Universitäten Unrecht übten. Unliebsame Studierende wurden nicht zum Studium zugelassen oder zwangsexmatrikuliert; Hochschullehrer und Dozenten vertrieben.

Aufarbeitung in Würzburg

Während letztere Aspekte in den vergangenen Jahren hin und wieder Gegenstand der Berichterstattung waren, blieb es um das Thema „Depromotion“ lange Zeit ruhig. Erst seit wenigen Jahren bemühen sich deutsche Hochschulen darum, dies dunkle Kapitel ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch an der Universität Würzburg hat sich in den vergangenen zwei Jahren eine interdisziplinäre Projektgruppe mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Den Anstoß dazu hatte Professor Christoph Weber gegeben, der damalige Dekan der Juristischen Fakultät.

Die Forschung an den Würzburger Geschehnissen während des Dritten Reichs erwies sich allerdings als nicht ganz einfach, erklärte Weber in seiner Rede während des Festakts. Denn in den Würzburger Archiven sind aufgrund der Kriegsschäden keine Originalakten zu den Depromotionsverfahren mehr vorhanden. „Wir haben jedoch bald festgestellt, dass uns Veröffentlichungen anderer Universitäten Anknüpfungspunkte liefern konnten“, so Weber. Tatsächlich hatten sich die Hochschulen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gegenseitig über ihre Depromotionen unterrichtet; am Freiburger Universitätsarchiv wurde aus diesen Unterlagen sogar eine namentliche Auflistung für Würzburg erstellt – das war die Chance, die Würzburger Ereignisse aufzuarbeiten.

Ergebnisse veröffentlicht

Zwei Jahre lang haben Vertreter mehrerer Fakultäten und ein Team von Studierenden unter Anleitung des Archivars der Universität Würzburg, Dr. Marcus Holtz, Akten gesichtet, mit externen Quellen abgeglichen, Listen präzisiert und vervollständigt. Mitverantwortlich für das Projekt war Caroline Rupp, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Dekanat der Juristischen Fakultät.
Inzwischen sind die Ergebnisse der zweijährigen Forschung veröffentlicht. Das Buch ist im Würzburger Verlag Königshausen & Neumann erschienen; sein Titel: „Die geraubte Würde“.

„Wir wollten mit diesem Titel auf das Ziel anspielen, das die Nationalsozialisten mit der Aberkennung akademischer Grade verfolgten“, sagt Rupp. Mit der Depromotion wollten die Nazis die Betroffenen aus der akademischen Gemeinschaft ausschließen, ihnen ihre Würde als Wissenschaftler und Akademiker nehmen und ihnen den beruflichen Neuanfang im Exil erschweren.

Die besondere Lage Würzburgs

Würzburg war nicht die einzige Universität in Deutschland, die solche Depromotionsverfahren durchführte – aber es war die Universität, an der überdurchschnittlich viele stattfanden. „Würzburg hatte mit die meisten Depromotionen – mehr als die Universitäten in München oder Leipzig“, sagte Marcus Holtz in seinem Vortrag in der Neubaukirche.

Verantwortlich für diese hohe Zahl sei eine statistische Besonderheit, so Holtz: Während der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Deutschland in den 20er-Jahren bei 0,8 Prozent lag, betrug er in Würzburg zwei Prozent. Während jüdische Studierende zu dieser Zeit 3,8 Prozent aller Studenten in Deutschland stellten, waren es an der Universität Würzburg 13 Prozent. Von ihnen waren rund 90 Prozent in der Medizinischen und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät eingeschrieben – also „traditionell promotionsstarken Fächern“, wie Holtz sagte.

Dazu kam die Tatsache, dass die Universitätsleitung die Vorgaben der Nationalsozialisten „hart und konsequent“ umsetzte, so der Historiker.
Welchen Sinn macht es, die Betroffenen heute zu rehabilitieren angesichts der Tatsache, dass viele von ihnen in den Konzentrationslagern der Nazis umgebracht wurden? „Schuld und Unrecht sind nicht relativierbar“, sagte Marcus Holtz. Die Universität sei Teil des Unrechtssystems gewesen, in ihrer Verantwortung liege es deshalb, die Vergangenheit aufzuklären und sich ihr zu stellen.

Grußwort von Josef Schuster

Warum erfolgt dieser Schritt erst mehr als 60 Jahre nach dem Ende der Shoa? Diese Frage stellte Dr. Josef Schuster, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken, in seinem Grußwort. Die Antwort darauf fand er im Alten Testament: 40 Jahre dauerte der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten ins gelobte Land – obwohl die tatsächliche Strecke in sehr viel kürzerer Zeit hätte zurückgelegt werden können. „Es braucht zwei Generationen, um aus Sklaven freie Menschen zu machen“, lautet die Erklärung jüdischer Geistlicher dafür. „Zwei Generationen – das bedeutet heute 60 Jahre“, so Schuster.

Mit der Rehabilitierung der 187 Wissenschaftler lasse die Universität diesen Gerechtigkeit widerfahren: „Heute wird ihnen die Ehre zuteil, die ihnen gebührt“. Schuster, der selbst in Würzburg Medizin studiert hat und hier promoviert wurde, dankte der Hochschulleitung für diesen Schritt: „Damit tun Sie viel für das Renommee dieser Universität.“

Grußwort von Georg Rosenthal

Dass nur die Erinnerung Versöhnung ermöglicht: Diese Tatsache stellte Würzburgs Oberbürgermeister Georg Rosenthal in den Mittelpunkt seines Grußworts. Das Unrecht müsse beim Namen genannt werden, damit die Opfer ihre Würde zurückerhalten können. „Würzburger Bürger und Bürgerinnen waren Opfer, haben tatenlos zugeschaut, haben davon profitiert, haben mitgemacht“, sagte Rosenthal. Daraus ergebe sich die Verpflichtung, die Erinnerung wach zu halten.

Die zweijährige Forschung der Universität bezeichnete Rosenthal als „bedeutenden Beitrag zur Aufklärung der NS-Zeit“. Die Ergebnisse seien Mahnung über den Tag hinaus, „wie schnell Errungenschaften eines demokratischen Staates mit Füßen getreten werden, wenn es keine aufrechten Bürgerinnen und Bürger gibt.“

Grußwort von Alfred Forchel

Auch der Universitätspräsident betonte in seinem Grußwort die Bedeutung der Erinnerung an die Geschehnisse: „Wir müssen uns dem Geschehen stellen, um die Erinnerung wach zu halten als Mahnung für die Zukunft“, so Forchel. Auch deshalb habe die Hochschulleitung der Arbeit der Projektgruppe ihre volle Unterstützung zugesichert.

Die Entscheidung der Universität, die Depromotionsbeschlüsse jetzt öffentlich für nichtig zu erklären, markiert nach Forchels Worten nur einen ersten Schritt. Die Universität stehe am Anfang der Aufarbeitung des Unrechts und der Gräuel der NS-Zeit; weitere Untersuchungen müssten folgen.

Die Nachkommen der Betroffenen, von denen einige in die Neubaukirche gekommen waren, bat Forchel um Vergebung.

Der Festakt in der Neubaukirche

Die öffentliche Rehabilitation der an der Universität Würzburg zwischen 1933 und 1945 depromovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bildete den Abschluss des Forschungsprojekts. Zwischen den Grußworten und den Vorträgen trug Caroline Rupp den Rehabilitationsbeschluss vor, den die Erweiterte Hochschulleitung, Senat und Hochschulrat Anfang des Jahres gefasst hatten.

Anschließend verlasen Studierende, die an dem Projekt beteiligt gewesen waren, die Namen all jener, denen ihr Doktorgrad zu Unrecht genommen worden war. Für die musikalische Umrahmung an der Orgel sorgte Dr. Jürgen Buchner

Die Veröffentlichung

Das Buch „Die geraubte Würde – Die Aberkennung des Doktorgrads an der Universität Würzburg 1933 – 1945“ ist im Verlag Königshausen & Neumann erschienen als erster Band der Reihe „Beiträge zur Würzburger Universitätsgeschichte“. 227 Seiten, 36,00 Euro, ISBN: 9783826045691

Veröffentlicht am 1. Juni 2011