Ist eine Anti-Stress-Verordnung sinnvoll?

Ist eine Anti-Stress-Verordnung sinnvoll?

In Deutschland klagen immer mehr Arbeitnehmer über große Belastungen am Arbeitsplatz. Die Anzahl der stressbedingten Erkrankungen wie Depressionen oder Burn-Out steigt zusehends. Gewerkschaften fordern daher bereits seit längerem eine gesetzliche Regelung, um den Stress am Arbeitsplatz zu regulieren.

Die Anti-Stress-Verordnung

Mittlerweile ist das Thema Stress am Arbeitsplatz auch in der Politik angekommen: Noch in diesem Jahr will Arbeitsministerin Andrea Nahles einen Gesetzentwurf gegen Stress am Arbeitsplatz prüfen lassen.

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode stand in der Politik eine Anti-Stress-Regelung zur Debatte. Viele Arbeitgeberverbände protestierten damals gegen die Idee, die Stressbelastung am Arbeitsplatz gesetzlich zu regulieren. Andrea Nahles Vorgängerin Ursula von der Leyen hielt die bestehenden Regelungen des Arbeitsschutz– und Arbeitszeitgesetzes für ausreichend und erteilte einer Anti-Stress-Verordnung eine Absage.

Derzeit erweckt das Thema wieder vermehrt öffentliches Interesse. Ein Viertel der Beschäftigten muss einer neuen Studie zufolge auch nach Dienstschluss für den Arbeitgeber per E-Mail oder Telefon erreichbar sein. Auch für die Betriebsräte ist die Anti-Stress-Verordnung aktuell ein zentrales Thema, das sowohl intern als auch bei großen Versammlungen, beispielsweise bei der 5. Betriebsräte Sommertagung, rege Diskussionen anstößt.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin soll nun im Auftrag der Arbeitsministerin belastbare und verbindliche Grenzwerte für die stressbedingte Belastung am Arbeitsplatz erarbeiten. Ziel der angestrebten Anti-Stress-Regelung ist eine Optimierung der betrieblichen Gesundheitsvorsorge. Arbeitnehmer, die weniger unter Stress leiden, sind seltener krank und leisten bessere Arbeit. Zentral in der Anti-Stress-Verordnung sind daher folgende Themen:

  • Unternehmen sollen für jeden Mitarbeiter sogenannte Gefährdungsbeurteilungen erstellen. Dabei geht es zum Beispiel um Faktoren wie Arbeitsaufgaben, Zeitmanagement oder das Betriebsklima, die zusammen mit dem Mitarbeiter individuell durchleuchtet werden sollen.
  • In der Freizeit dürfen dienstliche E-Mails oder telefonische Anfragen nicht mehr erledigt werden.
  • Mehr als acht Stunden Arbeit pro Tag sind nicht zulässig.

Manche Unternehmen greifen allerdings das Thema Work-Life-Balance bereits von alleine und ganz ohne gesetzlichen Zwang auf. Sie bieten ihren Mitarbeitern zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle oder kostenloses Essen und Getränke an. Auch Sportangebote und die Gesundheitsvorsorge sind bei vielen Unternehmen mittlerweile selbstverständlich. Deshalb stellt sich die Frage, ob es einer gesetzlichen Regelung bedarf, um Arbeitnehmer vor Stress zu schützen.

Pro und Contra Anti-Stress-Verordnung

Laut der aktuellen DAK-Studie sind 52 % der Deutschen für eine gesetzliche Anti-Stress-Regelung. 40 % lehnen eine solche Vorgabe allerdings kategorisch ab und zwar aus verschiedenen Gründen:

  • Jeder Mensch empfindet Stress anders. Allgemeingültige Normwerte für eine Stress-Belastungs-Grenze zu finden, ist daher nicht möglich.
  • Starre Regeln, wie sie die Anti-Stress-Verordnung vorsieht, lassen sich vielleicht in Berufen und Branchen anwenden, bei denen der Tagesablauf einem standardisierten Muster folgt. Bei Arbeitnehmern, die selbstorganisierte Tätigkeiten ausüben und sehr flexibel arbeiten, sind solche Regelungen aber kaum durchzusetzen.
  • Viele Arbeitnehmer klagen darüber, dass der Stress in ihrem Alltag zugenommen hat. Nicht immer handelt es sich dabei aber um arbeitsbedingten Stress. Auch der so genannte Freizeitstress und private Belastungen können für psychische Erkrankungen und Erschöpfungszustände verantwortlich sein.
  • Arbeitgeber müssten deutlich höhere Verwaltungsausgaben und Personalkosten einkalkulieren, wenn jeder Mitarbeiter regelmäßig an einer persönlichen Gefährdungsbeurteilung teilnehmen soll.
  • Stress ist nicht per se schlecht. Positiver Stress wirkt stimulierend, die Mitarbeiter können die Erfahrung machen, dass sich Anstrengung lohnt. Dabei gilt aber immer, dass die Arbeitnehmer genügend Erholungszeiten haben müssen und nicht unter einer Dauerbelastung stehen dürfen.

Dementgegen stehen folgende Argumente für eine Anti-Stress-Verordnung:

  • Die Anti-Stress-Verordnung verstärkt die gesetzlichen Regeln des Arbeitsschutzgesetztes. Hält ein Unternehmen formale Vorgaben nicht ein, können Arbeitnehmer ihr Recht auf Pausen oder einen ruhigen und hellen Arbeitsplatz einklagen.
  • Unternehmen bekommen einen verbindlichen Rahmen, an dem sie sich orientieren können.
  • Seit einiger Zeit klagen auch die Krankenkassen über zunehmende Kosten durch stressbedingt kranke Arbeitnehmer. Eine allgemeingültige Regelung erleichtert es den Arbeitnehmern, die Faktoren des Stresses zu erkennen, anzusprechen und zu beheben. Dadurch können Missstände leichter behoben werden und potenziell gefährdete Arbeitnehmer frühzeitig einer gesundheitlichen Gefährdung entgehen.
  • Durch die Verordnung können Arbeitnehmer und Betriebsräte ihre Rechte leichter durchsetzen.

Die Argumente für und wider eine gesetzliche Anti-Stress-Verordnung sind vielfältig. Ein Knackpunkt bei der Diskussion ist jedoch, dass die Stressbelastung am Arbeitsplatz von individuellen Faktoren geprägt ist. Sie ist unter anderem vom persönlichen Stressempfinden, der Unternehmenskultur oder dem kollegialen Umgang abhängig. Nicht jeder Arbeitnehmer und nicht jedes Unternehmen braucht daher eine gesetzliche Anti-Stress-Verordnung. Für den ein oder anderen kann diese Lösung sinnvoll sein, viel wichtiger sind jedoch flexible Regeln, die jedes Unternehmen individuell anwenden kann. So kann ein Unternehmen das Belastungsniveau an einem bestimmten Arbeitsplatz oder in einer konkreten Abteilung reduzieren und auf den einzelnen Mitarbeiter eingehen.

Wie geht es weiter mit der Anti-Stress-Verordnung?

Ob die Allgemeinheit der deutschen Arbeitnehmer eine gesetzliche Anti-Stress-Verordnung benötigt, ist zweifelhaft. Denn wissenschaftlich belastbare Grenzwerte zu finden, nach denen ein Gesetz zum Stressabbau am Arbeitsplatz erarbeitet werden kann, dürfte schwierig sein. Stress und Stressfaktoren lassen sich nicht wie Luftverschmutzungswerte messen. Stress ist eine subjektive Empfindung mit individuellen Auslösern und jeder Mensch hat ein anderes Stressempfinden. Was der eine bereits als stressig empfindet, ist dem anderen vielleicht zu langweilig.

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel sieht daher auch eher die Arbeitgeber und Gewerkschaften als den Gesetzgeber in der Pflicht. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel steht einem Anti-Stress-Gesetz skeptisch gegenüber. Eine konkrete Verordnung wird es deshalb wahrscheinlich nicht so schnell geben. Ein Grund mehr für deutsche Arbeitgeber, sich mit dem Thema Stress am Arbeitsplatz zu befassen und für das Unternehmen eigene Lösungsmodelle zu entwickeln. Das kann eine Chance für jedes Unternehmen sein. Denn eine geringere Stressbelastung führt zu mehr Leistung der Arbeitnehmer und nutzt damit letztendlich auch dem Unternehmen.

Autor/in: Jennifer Siebert
Veröffentlicht am 23. Februar 2015

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