Anonyme Bewerbungen: Gleiche Jobchancen für Tobias und Serkan

Anonyme Bewerbungen: Gleiche Jobchancen für Tobias und Serkan

In den USA ist die „gesichtslose“ Bewerbung schon lange üblich – doch wer hierzulande seinem Lebenslauf kein Foto beifügt, wirft Fragen auf. Acht Unternehmen wagen jetzt den Versuch: Bis zum Vorstellungsgespräch spielen Herkunft, Geschlecht, Alter und Familienstand der Bewerber keine Rolle.

Wer sich in diesen Tagen bei dem Geschenkeshop Mydays bewerben möchte, könnte zunächst einmal stutzig werden. Denn im Bewerbungsformular wird darum gebeten, Angaben zu vermeiden, die Rückschlüsse auf Namen, Alter, Geschlecht, Familienstand, Religion oder Herkunft zulassen. Nichts darf genannt werden, was die Objektivität des Personalers beim ersten Eindruck bewusst oder unbewusst beinträchtigen könnte. Der Grund: Das Unternehmen nimmt als einer von acht Arbeitgebern am deutschen Modellprojekt „Anonyme Bewerbungen“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes teil.[insert related]

Acht Unternehmen urteilen nur nach Qualifikation

Seit November 2010 urteilen acht Unternehmen aus Wirtschaft und öffentlichem Dienst ein Jahr lang nur noch nach Qualifikation der Stellenanwärter. Mit von der Partie sind neben dem Geschenkeshop Mydays das Kosmetikunternehmen L´Oréal, der Konsumgüterkonzern Procter&Gamble, die Deutsche Post und Deutsche Telekom. Außerdem testen das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Verwaltung der Stadt Celle in Niedersachsen das anonymisierte Bewerbungsverfahren.

Chancengleichheit statt falschem ersten Eindruck

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Während in den USA bei der Bewerbung persönliche Daten und ein Foto gar nicht erst verlangt werden, um mögliche Schadenersatzansprüchen wegen Diskriminierung von vornherein abzuwehren, dient das deutsche Projekt einzig und allein der Chancengleichheit. Herkunft, Geschlecht, Alter oder Familienstand – die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht in diesen Angaben zur Person mögliche Hindernisse, eine Stelle zu bekommen.

Tobias wirft Serkan aus dem Rennen

Erst im vergangenen Jahr hat eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) gezeigt, dass Bewerber mit türkisch klingendem Namen bei der Suche nach einer Praktikumsstelle viel früher aussortiert werden als ihre exakt identisch qualifizierten deutschen Konkurrenten. So haben „Dennis Langer“ oder „Tobias Hartmann“ trotz gleicher Kenntnisse eine 14 Prozent größere Chance, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als „Fatih Yildiz“ oder „Serkan Sezer“. In kleineren Unternehmen steigen die Chancen der deutschen Bewerber auf ein Vorstellungsgespräch sogar um 24 Prozent gegenüber ihren Mitstreitern mit türkischem Namen.

Schöne Frauen werden seltener eingeladen

Eine andere Studie zeigt, dass auch das Foto bei einer Bewerbung eine sehr große Rolle spielt. Wissenschaftler der amerikanischen „University of Colorado Denver Business School” kamen zu dem Ergebnis, dass Schönheit bei einer Bewerbung nicht unbedingt von Vorteil ist. So wurden schöne Frauen fast nie zu Vorstellungsgesprächen für einen führenden Posten eingeladen.

Positive Ergebnisse in Schweden

All diese Faktoren sollen bei der anonymisierten Bewerbung keine Rolle mehr spielen. In Schweden zeigte ein vergleichbares Projekt, dass nach der Einführung anonymer Bewerbungen deutlich mehr Frauen und Migranten zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden als zuvor. Ob dies auch in Deutschland der Fall sein wird, soll der 12-monatige Testlauf zeigen. In Zusammenarbeit mit der IZA wird der Test, in dem es um insgesamt 225 Arbeits- und Ausbildungsplätze geht, wissenschaftlich ausgewertet.

So funktioniert die anonyme Bewerbung

Die teilnehmenden Unternehmen nutzen verschiedene Möglichkeiten, die eingehenden Bewerbungen zu anonymisieren. Einige Unternehmen stellen Online-Formulare bereit, in denen es schlicht keine Felder zu Name, Alter, Herkunft oder Geschlecht gibt. Andere Firmen nutzen standardisierte Bewerbungsbögen, die der Bewerber zusammen mit einem Kontaktformular an die Firma schickt. So müssen z.B. jene Bewerber, die sich bei Mydays vorstellen möchten, neben dem anonymisierten Bewerbungsformular auch ein Kontaktformular ausfüllen. Einsicht in die Kontaktdaten bekommt das Entscheidergremium erst, wenn die Entscheidung für ein Vorstellungsgespräch gefallen ist.

Gegner der anonymen Bewerbung

Neben den befürwortenden Unternehmen haben die anonymen Bewerbungen aber auch zahlreiche Gegenstimmen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte laut „Hamburger Abendblatt“, die Pläne seien schwer umsetzbar und erhöhten die Bürokratie. „Der Aufwand um neue Stellen zu besetzen, wird wesentlich größer. Allein die Zahl der Gespräche mit Bewerbern, die nach der ersten anonymen Bewertungsphase folgen müssten, würde steigen“, sagte Hundt der Zeitung.
Vor allem kleine Firmen, die keine eigene Personalabteilung haben, befürchten, dass die Auswahlverfahren durch die Anonymisierung mehr Zeit in Anspruch nehmen und teurer werden. Auch persönliche Merkmale und eine „gemeinsame Wellenlänge“, die gerade für kleine Unternehmen entscheidend sein können, dürften nur schwer anhand einer anonymen Bewerbung zu erkennen sein.

Diversity Management durch Anonymität unmöglich

Ein Manko haben die anonymen Bewerbungen definitiv: Gezieltes „Diversity Management“ wird durch sie schwierig bis unmöglich. Personalern wird die Möglichkeit der Bemühung um Vielfalt in der Belegschaft genommen, denn wie sollen sie bei anonymen Bewerbungen darauf achten, dass genug Frauen, ausländische Bewerber oder ältere Mitarbeiter eingestellt werden? Dies widerspricht der Forderung der Antidiskriminierungsstelle, argumentiert der Arbeitgeberverband BDA.

Informationen können versteckt übermittelt werden

Zudem warnen Experten, der Versuch werde in der Praxis scheitern, da Bewerber und Arbeitgeber genug Wege finden, die Informationen versteckt zu übermitteln oder zu bekommen und somit die Anonymität zu umgehen. Auch fallen weitere Möglichkeiten des Bewerbers, den Personaler von sich zu überzeugen, wie z.B. durch Arbeitszeugnisse oder Empfehlungen, weg.

Erfolgreich in anderen Ländern

Trotz aller Kritik – in anderen Ländern hat sich das Verfahren der anonymen Bewerbungen bereits bewährt. In den USA gehört die anonyme Bewerbung seit den 60er-Jahren zum Joballtag. Und auch in Frankreich, der Schweiz und Schweden wurde die anonyme Bewerbung bereits erfolgreich geprobt. Ob mehr Bürokratie oder bessere Chancengleichheit – wie das Modellprojekt bei den deutschen Unternehmen ankommt und ob es sich durchsetzen wird, wird sich zeigen.

Autor/in: Sarah Dreyer
Veröffentlicht am 26. Januar 2011

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