Interview zum Beruf Ernährungsberater

Interview zum Beruf Ernährungsberater

Eine gesunde Lebensweise und ausgewogene Ernährung ist für viele Menschen ein immer wichtigeres Thema. Wenn es mit der Ausgewogenheit jedoch noch nicht klappt oder Krankheiten eine besondere Ernährung erfordern, ist der Ernährungsberater gefragt. Im Interview beschreibt der Ernährungswissenschaftler und Diätexperte Sven-David Müller die Situation in Deutschland und bezieht Stellung zu den unterschiedlichen Ausbildungswegen.

Herr Müller, Sie gelten als Experte in Sachen Ernährung. Beschreiben Sie bitte zunächst Ihren eigenen Werdegang und insbesondere Ihren Ausbildungsweg.

Sven-David Müller: Mein Berufsweg hat mit einem Großküchenpraktikum in der Diätküche des Klinikums Braunschweig angefangen. Danach habe ich meine Ausbildung zum staatlich anerkannten Diätassistenten an der Diätlehranstalt des Lehrinstituts für Gesundheitsberufe am Kreiskrankenhaus Bad Hersfeld, dem akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Gießen, absolviert.

Nach der Ausbildung war ich lange an der Universitätsklinik Aachen in der Medizinischen Klinik III tätig. Schließlich schloss ich eine Weiterbildung zum Diabetesberater DGE an der Uniklinik Jena an und studierte danach Angewandte Ernährungswissenschaften mit dem Abschluss „Master of Science in Applied Nutritional Medicine (Angewandte Ernährungsmedizin)“. Heute leite ich unter anderem das Zentrum und die Praxis für Ernährungskommunikation, Diätberatung und Gesundheitspublizistik (ZEK) in Nidderau. Zudem arbeite ich an meiner Promotion, halte Vorträge und gebe Seminare sowie Vorlesungen.

Im Interview

Sven-David Müller, M.Sc. in Applied Nutritional Medicine, Diätassistent und Medizinjournalist
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Sven-David Müller

Wie sieht der Arbeitsalltag des Ernährungsberaters oder des Diätassistenten aus?

Sven-David Müller: Diätassistenten sind vor allem in Kliniken tätig. Der Beruf des Diätassistenten ist der einzige Beruf in Deutschland der auf die Diätberatung und Diättherapie vorbereitet. Grundsätzlich bedeutet Ernährungsberatung an 1. Stelle, ein Vertrauensverhältnis zwischen Berater und Klient zu schaffen. Ich sage bewusst Klient oder Kunde statt Patient, denn es gibt ja nicht Menschen, Tiere und Patienten – Patienten sind Menschen! Der Berater muss zu seinem Klienten einen guten Kontakt aufbauen und zunächst unter Anbetracht der diätetischen Notwendigkeit das bisherige Essverhalten prüfen, zum Beispiel mithilfe von Ernährungsprotokollen oder -tagebüchern. Dann schaut der Ernährungsberater, was aufgrund der Erkrankung oder des Wunsches des Kunden in wissenschaftlich begründeter Form notwendig wäre. Das muss er dem Kunden dann so übersetzen, dass er das verstehen kann. Eine einmalige Beratung kann deshalb nicht ausreichen, weil man den Lern- und Umsetzungserfolg im Alltag überprüfen muss. Eine sinnvolle Beratung ist eine Erstberatung mit mindestens 2, besser 4 Folgeterminen und einer jährlichen Überprüfung. Es gibt auch Erkrankungen, die einen monatlichen Besuch beim Diätassistenten erfordern.

Welche Bedeutung hat das Thema Ernährung in unserer Gesellschaft? Welche Stellung nimmt Ernährung im Gesundheitswesen ein?

Sven-David Müller: Ernährung hat eine weitaus größere Bedeutung, als die meisten Menschen denken. Das größte Problem ist, dass sich die Menschen anders ernähren, als sie sollten. Falsche Ernährung und die daraus entstehenden Krankheiten sind der größte Faktor im Gesundheitswesen überhaupt! Ein Großteil der Todesfälle geht auf die Kosten von Fehl- und Überernährung zurück. Dicke Menschen sterben beispielsweise früher als Dünne. Wir haben in Deutschland einen großen Nachholbedarf, was kundenorientierte Ernährungsberatung angeht. In Deutschland ist die Beratung eher rational geprägt, sie spricht die Menschen viel zu wenig an. Das fängt schon bei ganz einfachen Dingen an. Wenn ein Diätassistent von Ernährung spricht, erreicht er seinen Klienten nicht, denn der isst einen Apfel und ernährt sich damit nicht etwa. Wir müssen in der Beratung emotional appellieren und vom Essen und Trinken sprechen. Der Klient muss seine Vorteile sehen, wenn er seine Ernährungsweise umstellt.

Welche Maßnahmen können helfen, gesunde Ernährung noch mehr in den Fokus zu rücken und den Menschen näher zu bringen?

Sven-David Müller: Grundsätzlich ist es so, dass Ernährung zu wenig ernst genommen wird. Das ist kein Wunder, denn schon mit 3 Jahren kann ja fast jeder selbstständig ein Brot essen. Wie soll dann Ernährung etwas Kompliziertes sein? Die Ausbildung zum Diätassistenten dauert 6 Semester. Und darauf bauen Fort- und Weiterbildungen und eine Menge Berufserfahrung auf. Bei der Behandlung oder Vermeidung von Krankheiten werden Diagnostikgeräten, Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln mehr Bedeutung beigemessen als dem Essverhalten. Dabei ist Ernährung das wichtigste Medikament. Schon Hippokrates hat gewusst: „Lass deine Nahrung deine Medizin und Medizin deine Nahrung sein!“

Das Problem ist, dass die Menschen das nicht einsehen wollen. Viele glauben, dass eine gesundheitsbewusste Ernährungsweise oder eine diätetische Therapie nicht gut schmeckt. In meiner eigenen Praxis habe ich fast täglich erlebt, wie ängstlich die Menschen waren, wenn ich zu ihnen gekommen bin. Denn sie glaubten, ich würde ihnen jetzt alles verbieten, was sie bisher gegessen haben. Dabei darf man nicht vergessen, dass Diätetik die Kunst des Erlaubens ist, eine gesundheitsbewusste Ernährung Spaß machen kann und auch sicher gut schmeckt.

Wessen Kompetenzen sind gefragt, um dieses Wissen zu vermitteln und sich für eine gesunde Ernährung einzusetzen?

Sven-David Müller: Es gibt 2 große Berufsgruppen, die bei der Ernährungsaufklärung der Bevölkerung gefragt sind: Das sind zunächst die Diätassistenten – ein Beruf, den es schon seit fast 100 Jahren gibt – und die Ernährungswissenschaftler. Ernährungswissenschaftler beschäftigen sich vornehmlich mit dem wissenschaftlichen Aspekt, sodass die praktische Ernährungsberatung in Deutschland in der Hand der Diätassistenten liegt. Ärzte bekommen in Deutschland leider keine Ausbildung im Bereich Ernährung oder Diätetik. Ein Arzt, der sein Studium beendet, hat von Ernährung genauso wenig Ahnung wie der Durchschnittsbürger. Eine Untersuchung, die im Deutschen Ärzteblatt publiziert wurde, zeigte sogar, dass ein durchschnittlicher Hausarzt weniger von Ernährung weiß, als eine durchschnittliche Mutter mit 2 Kindern! Das ist ein großes Problem, denn dementsprechend wird eine gesunde Ernährungsberatung zu wenig ärztlich gefördert. Diese fehlende Diät- und Ernährungsberatung ersetzen in bestimmtem Maße die Krankenkassen. Aber wir brauchen viel mehr Angebote in Deutschland, um die Menschen endlich richtig über die vorbeugende Wirkung des ausgewogenen Essen und Trinkens aufklären zu können. Und um den Menschen, die unter ernährungs(-mit)bedingten Krankheiten leiden, helfen zu können. Mehr als 6 Millionen Menschen in Deutschland leiden beispielsweise an Diabetes mellitus Typ 2 und diese Krankheit ist zu fast 100 Prozent vermeidbar. Eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise wäre hier die optimale Prävention.

Welche Rolle spielt hier berufliche Weiterbildung und welche Berufsgruppen kommen dafür infrage?

Sven-David Müller: Die Berufsgruppen, die zur Ausübung der Ernährungsberatung zur Verfügung stehen – das ist auch im Sozialgesetzbuch 5 geregelt – sind Diätassistenten und Ernährungswissenschaftler. Sie müssen bestimmte Qualifikationen erfüllen. Mit der qualifizierenden Fortbildung „Ernährungsmedizin“ der Bundesärztekammer kann sich auch ein Arzt Ernährungsmediziner nennen. Daneben gibt es einen ähnlichen Kurs auch für Apotheker, die von den Apothekerkammern durchgeführt werden. Die Apotheker erlangen nach dem Kurs und der bestandenen Prüfung den Titel „Fachapotheker für Ernährungsberatung“. Daneben gibt es noch eine Reihe von Berufsgruppen die Ernährungsberatungen durchführen können, zum Beispiel Reformhausfachpersonal, Drogisten, Arzthelferinnen, Krankenschwestern. Jedoch sollten sie diese Tätigkeit grundsätzlich nur nach einer qualifizierenden Weiterbildung übernehmen. Denn Ernährungsberatung bedeutet mehr als zu wissen, dass man in einen Apfel beißen muss, um ihn essen zu können.

Welche Lehrgänge und Kurse bieten sich hier an?

Sven-David Müller: Es gibt diverse Angebote. Die qualitativ hochwertigen Weiterbildungen werden vom Fortbildungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn durchgeführt. Hier bilden sich Diätassistenten und Ernährungswissenschaftler zum „Ernährungsberater DGE“ fort. Das ist eine offizielle Weiterbildung, die damit auch eine Abrechnungsfähigkeit bzw. eine Kostenersatzmöglichkeit der Patienten bei den Krankenkassen ermöglicht. Daneben gibt es noch viele weitere Institutionen, wie den Verband der Diätassistenten (VDD) oder der Diplom-Oecotrophologen und Ernährungswissenschaftler (VDOe), die berufsqualifizierende Maßnahmen im Bereich der Diät- und Ernährungsberatung durchführen. Außerdem existiert eine Vielzahl an Verbänden (beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin – DGEM) und Organisationen (beispielsweise das Deutsche Kompetenzzentrum Gesundheitsförderung und Diätetik – www.dkgd.de), die qualifizierte Fort- und Weiterbildungen anbieten. Hoch qualifizierend sind dabei sicher die Weiterbildungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln und des aid Infodienstes Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz in Bonn.

Sie kritisieren insbesondere Weiterbildungen zum Ernährungsberater, die nicht von solchen staatlich-anerkannten Stellen angeboten werden. Welche Probleme sehen Sie dabei?

Sven-David Müller: Nicht-qualifizierende Weiterbildungsangebote, die weder staatlich sind, noch eine staatliche Anerkennung besitzen oder von anerkannten/renommierten Verbänden und Organisationen durchgeführt werden, sind nicht qualitätskontrolliert. Ernährung kann zu Schäden führen, deshalb dürfen diese Kurse nicht berufsqualifizierend stattfinden. Im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes ist es wichtig, dass sowohl Fachkräfte, als auch der Verbraucher selbst vor solchen Angeboten gewarnt werden. Ein nicht-qualifiziertes Ausbildungsinstitut kann man daran erkennen, dass es nicht zu einem der vorher genannten Verbände oder staatlichen Organisationen gehört. Es führt außerdem nicht zur Krankenkassenabrechnungsfähigkeit. In jedem Krankenhaus oder bei jeder Krankenkasse kann jeder Bundesbürger erfragen, wer qualifizierte Ernährungsberatung durchführt. Alle Krankenhäuser verfügen über Diätassistenten, die Verträge oder Vereinbarungen mit den Krankenkassen abgeschlossen haben. Die Krankenkassen haben dabei feste, staatlich geregelte Vorgaben, wer eine Ernährungsberatung durchführen darf, die sie auch erstatten kann.

Wenn jemand den Wunsch hat, im Bereich Ernährungsberatung beruflich tätig zu werden, dann sehen Sie die einzige Möglichkeit über eine Ausbildung zum Diätassistenten oder ein Studium der Ökotrophologie?

Sven-David Müller: Richtig. Dann sollte man entweder sein Staatsexamen als Diätassistent machen oder ein Studium der Ernährungswissenschaften abschließen. Oder als Arzt oder Apotheker eine Weiterbildung vom Berufsverband durchführen. Erst dann bin ich qualifiziert, eine Ernährungsberatung durchzuführen.

Die auch therapeutisch wirksame Diätberatung – Diätetik ist schließlich ein effektives Heilmittel – sollte nur von Diätassistenten durchgeführt werden, da keine andere Berufsgruppe dafür qualifizierend ausgebildet ist. Alle Anderen können sich zwar über Ernährung informieren, aber nicht qualifiziert beraten im Sinne des Sozialgesetzbuches 5 – und natürlich im Sinne des Klienten. Nichtsdestotrotz gibt es viele nicht-qualifizierende Angebote. Solange man das nur für sich selbst nutzt und sich der Qualität der Weiterbildung bewusst ist, kann man natürlich einen solchen Lehrgang oder ein Fernstudium absolvieren. Wer sich allgemein über eine gesunde Ernährungsweise informieren möchte, dem gibt die DGE in Bonn Auskunft. Ebenso die BzgA in Köln oder der aid Infodienst in Bonn. Hinzukommt der Berufsverband der Diätassistenten (VDD) in Essen oder der Oecotrophologen (VDOe) – beide Verbände sitzen in Nordrhein-Westfalen. NRW ist das Land mit der Ernährungskompetenz Nr. 1 in Europa!

Herr Müller, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

Interview geführt am 19.11.2012 von Geraldine Zimmermann.

Autor/in: Geraldine Zimmermann
Veröffentlicht am 4. Dezember 2012

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