Ein einheitliches europäisches Hochschulsystem und ein Berufseinstieg nach nur drei Jahren Studium – das sind nur zwei der Vorteile, die die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge bringen sollte. Doch was hat sich acht Jahre nach Umsetzung der Bologna-Reform tatsächlich verändert?
„Schuld an allem ist der Bologna-Prozess“, hört man aus dem Mund manch eines überarbeiteten Bachelor- oder Masterstudenten. Gemeint ist keine etablierte Nudelsoße, sondern eine im italienischen Bologna unterzeichnete politische Erklärung, mit der bis zum Jahr 2010 ein einheitlicher Hochschulraum geschaffen werden sollte. [insert related]
Dafür schufen die Bildungsminister von 29 europäischen Nationen neue, zweistufige Studienabschlüsse, mit den Namen „Bachelor“ und „Master“. Das Ziel: International einheitliche Hochschulabschlüsse, die einen besseren Vergleich der Absolventen ermöglichen und auch die Möglichkeit schaffen, bereits nach drei Jahren einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erlangen.
Was so schön klingt, sieht in der Realität leider anders aus, ließen uns spätestens die bundesweiten Bildungsstreiks im Jahr 2009 wissen. Vorbei der Genuss des Studiums als „beste Zeit des Lebens“. Bachelor und Master gelten als zu verschult und arbeitsintensiv. Ebenfalls kritisiert werden die strenge Anwesenheitspflicht und die hohe Prüfungslast der „neuen“ Studiengänge. Denn kaum ist die eine Klausur geschrieben, steht schon die nächste Hausarbeit auf dem Programm.
Tatsächlich ist eine 40-Stunden-Woche Zielvorgabe des Bologna-Prozesses. Zum Vergleich: Frühere Diplom- oder Magisterstudiengänge mussten die Uni in der Regel rund 20 Stunden pro Woche besuchen, wovon jene Stunden, die nicht prüfungsrelevant waren, sicher bei einigen wegfielen.
Für die Bachelor- und Masterstudenten jedoch gilt: Pause machen ist nicht, sonst wird die Regelstudienzeit überschritten. Viele sehen diese als „Muss“, wer zwei Semester länger studiert um auch Seminare nach persönlichem Interesse zu belegen, hat Sorge, beim potenziellen Arbeitgeber Fragen aufzuwerfen.
Vorbei ist auch die Zeit der Zwischen- oder Abschlussprüfungen, stattdessen winken dem Bachelor- und Masterstudenten Prüfungen zum Abschluss jeder einzelnen Lehrveranstaltung. Die studienbegleitenden Prüfungen sollen die Studiengänge „übersichtlich gestalten“, heißt es in der vom Bundesministerium geförderten Studie „Bachelor und Master in Deutschland“.
Zumindest für ein Bundesland war die Kritik der Studenten an der hohen Prüfungslast Grund genug, zu reagieren. In Mecklenburg-Vorpommern verabschiedete der Landtag eine Novelle des Landeshochschulgesetzes, die unter anderem vorsieht, dass die Hochschulen selber entscheiden können, welche Teile des Studiums mit einer Prüfung versehen werden und welche der Noten ins Endzeugnis mit eingehen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Bei aller Kritik – erfüllt der Bachelor wenigstens, wie es in der Kultusministerkonferenz 2003 heißt, seine Aufgabe als „erster berufsqualifizierender Abschluss“, der die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung“ führt?
Von Mehrzahl kann keine Rede sein, denn nur ein kleiner Teil aller Studenten wagt sich überhaupt mit einem Bachelorabschluss auf den Arbeitsmarkt. Doch immerhin diese Ängste sind unbegründet, belegen Studien. Bachelor suchen weder länger nach einer Stelle als andere Absolventen, noch weisen sie eine höhere Quote der Arbeitslosigkeit auf.
Haben sich Unternehmen also bereits an die „Neuen“ gewöhnt? Auffallend ist: In Stellenanzeigen wird der Bachelor nur selten erwähnt, speziell auf diesen neuen Abschluss zugeschnittene Angebote gibt es kaum. Wer versucht, mit einem Bachelor in den Beruf einzusteigen, konkurriert also automatisch mit Bewerbern höherer Abschlüsse.
Vielleicht ein Grund, warum drei von vier Universitätsabsolventen bereits vor Studienbeginn planen, einen Master direkt an das Bachelorstudium anzuschließen. Ein zweiter ist, dass viele Studenten selber den Bachelor als unvollständiges Studium, als minderwertigen Abschluss sehen und sich deshalb den Master „verordnen“.
Doch auch der Übergang in den Master funktioniert leider nicht immer reibungslos. Schuld daran ist eine simple Fehlkalkulation. Denn Deutschland hat den Bachelor ganz klar als „Regelabschluss“ definiert und ging deshalb davon aus, das nur ein Drittel der Bachelor auch einen Master macht. Keiner rechnete damit, dass doppelt so viele Bachelorabsolventen nach einem höheren Studienabschluss streben.
Für viele Studenten wird somit das Horrorszenario, keinen Masterstudienplatz zu bekommen, Wirklichkeit. Denn die wenigen Masterstudienplätze, die es gibt, werden unter den Studenten mit den allerbesten Bachelor-Zeugnissen aufgeteilt. Und das schult nicht die Teamfähigkeit der Absolventen, sondern vor allem ihr Konkurrenzdenken.
Erschwerend für die Bachelor kommt hinzu, dass sich die Abschlussnoten von Hochschule zu Hochschule oft stark unterscheiden. Auch die besten Absolventen einer Universität können deshalb von anderen ausgestochen werden. So geschehen etwa an der Uni Köln. Dort bekamen zahlreiche BWL-Studenten keinen Masterplatz an der eigenen Uni – denn im Durchschnitt waren sie mit einer Note von 2,33 deutlich schlechter als z.B. Studenten der Universität Paderborn mit einer Durchschnittsnote von 1,7.
Es scheint, als sichere die Bologna-Reform vor allem die Existenz der Anwälte. Denn immer häufiger greifen abgelehnte Bachelorabsolventen, die unbedingt einen Master machen wollen oder müssen, um überhaupt in ihrem Berufsfeld arbeiten zu können, zum letzten Mittel: Sie klagen sich ein. Erste „Erfolge“ gibt es bereits, so sprach ein Gericht in Münster mehreren klagenden Studenten das Recht auf einen Masterstudienplatz zu.
Und doch: Die Umsetzung der neuen Studiengangsstruktur ist nahezu komplett erreicht, rund 82 Prozent aller deutschen Studiengängen enden bereits mit Bachelor oder Master. Und die Bologna-Reform trägt neben der viel kritisierten Aspekte erste sichtbare Früchte: Die tatsächliche Studiendauer liegt heute weitaus näher an der durchschnittlichen Regelstudienzeit als vor der Studienreform. Dass dies jedoch zu Lasten vieler Studenten geht, offenbaren nicht nur die Bildungsstreiks.
Autor/in: Sarah DreyerTags: Abschlüsse, Anwesenheitspflicht, Bachelor, Berufseinstieg, Bologna, Lernen, Studienplatzklage