Ich bin doch nicht hochbegabt … oder?!

Ich bin doch nicht hochbegabt … oder?!

So seltsam es klingt: Manchmal sind immer wieder kehrende Schwierigkeiten im Beruf – mit Chefs und Kollegen – keine Symptome mangelnder sozialer Kompetenz an sich. Und mangelnde Leistungen kein Zeichen von Überforderung, sondern von Hochbegabung!

Drei typische Situationen, die einem zu denken geben sollten

Natürlich gibt es arrogante, leistungsschwache Menschen, die Parties nicht mögen, aber: Die Arroganzfalle, die Leistungsfalle und die Party-Talk-Falle können – richtig gedeutet – erste Hinweise auf eine Hochbegabung sein. Häufig werden diese sozialen Phänomene natürlich ganz anders gedeutet: der Betroffene fühlt sich dumm, unbeliebt oder als Streber gebrandmarkt.

Die Arroganzfalle

Manche Menschen sind schneller als andere, z.B. unter Kollegen. Jemand fällt besonders dadurch auf, dass er immer schneller als andere Probleme erfasst und Lösungen parat hat. Während andere noch überlegen, um was es überhaupt geht, ist besagter Kollege bereits dabei, andere von seiner Lösung zu überzeugen.

Das wirkt nicht immer positiv. Es hängt von der Dynamik der Gruppe ab. Existiert kein gewachsenes und bereits auf die Probe gestelltes stabiles Vertrauensverhältnis innerhalb der Gruppe, wird es in der Kollegengruppe schnell brenzlig: Der Schnellere gilt nicht einfach als besser (zum Nutzen der Gruppe), sondern als arrogant, als Streber, der sich beim Chef „anschmeicheln“ will, beispielsweise. Bei Verteidigung schnappt die Arroganzfalle endgültig zu. Es ist schwer wieder auf ein Miteinander auf gleicher Augenhöhe zurückzufinden. Hier kann bereits der Grundstein eines Mobbingprozesses gelegt sein. Vielleicht ergreift jemand die Gelegenheit und schwingt sich zum Sprecher gegen den „arroganten Streber“ auf und heizt ganz bewusst den Ausgrenzungsprozess an. So wird ihm das Opfer später auch nicht als Konkurrent gefährlich, den er als den „Schnelleren“ zu erkennen glaubte.

Die Leistungsfalle

Manche Menschen scheitern schon an den Aufgabenstellungen selbst. Einfach deswegen, weil sie nicht glauben können, dass ihnen jemand eine vollkommen banale Aufgabe stellt. So einfach, dass es sich gar nicht lohnt, darüber nachzudenken, weil die Lösung auf der Hand liegt. Diese wird aber nicht akzeptiert, weil man „in so kurzer Zeit“ keine Lösung finden kann.

Mathematiklehrer neigen dazu richtige Lösungen nicht zu akzeptieren, wenn sie die Lösungswege ihrer (hochbegabten) Schüler nicht verstehen. Der Schluss: Der Schüler hat abgeschrieben und muss bestraft werden. Folge: Tatsächliche Leistungen werden bestraft. Der Schüler entwickelt aber im Gegenzug die für genau diesen Schulbetrieb nötigen Kompetenzen nicht. Irgendwann ist es soweit, es kommt zur totalen Leistungsverweigerung. Der hochbegabte Schüler wird zum Schulversager, zum „Underachiever“, also zum „Minderleister“. Das kann in allen Lebensbereichen zu einer dauerhaften „Karriere“ als Leistungsverweigerer führen. Am Ende sind sich alle sicher: „unbeschulbar“! Diesem Menschen bleibt aber das quälende Gefühl, hier in diesem Leben irgendwie nicht richtig zu sein. Er ahnt, kann es aber nicht artikulieren, geschweige denn für sich nutzen, dass er unterfordert ist, und sehnt sich nach Herausforderungen auf seinem Niveau. Die werden ihm unter Umständen lebenslang vorenthalten, weil er sich ja bereits als unfähig erwiesen hat.

Die Party-Talk-Falle

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Manche Menschen erleben oft, dass sie auf Parties keinen Fuß auf den Boden bekommen. Es wird über Belangloses gesprochen, über Wetter, über Mode. Manchmal über Fußball oder Politik. Oft läuft wie voraussehbar folgendes Schema ab: Jemand bemüht sich um den Kontakt zu anderen, die sich munter über das Wetter unterhalten. Schließlich will er nicht alleine und unbeteiligt in der Ecke stehen oder einsam an seinem Drink nippen. Aber Small Talk hat ihn immer angeödet. Diesmal nimmt er allen Mut zusammen und sinnt über eine Aufmerksamkeit heischende, richtige Bemerkung über das Wetter nach. In dem Moment, in dem die anderen bereits über Autos und Musik beim Kleid der Kanzlerin angekommen sind, fällt ein langer, komplizierter Satz zum Thema Wetterforschung in Deutschland…

Begegnen einem solche oder verwandte Phänomene häufiger, bedeutet das nicht unbedingt soziale Inkompetenz, Dummheit, generelle Ablehnung anderer Menschen. Es kann sein, dass man zu der Gruppe der unentdeckten Hochbegabten gehört. Die haben oft völlig andere Prioritäten in Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Wenn man zudem an sich neugierig ist, oft mit Lösungen unzufrieden ist, weil man bessere erahnt oder kennt, oft ungeduldig mit anderen Menschen ist und offensichtlich schneller und komplexer als sie wahrnimmt… dann könnte der wahre Grund eine intellektuelle Hochbegabung sein.

Klarheit verschaffen

Aber wie? Man kann einen allgemein anerkannten wissenschaftlichen IQ-Test unter standardisierten Bedingungen absolvieren. Das geht bei einem niedergelassenen Psychologen, bei einem Coach mit der entsprechenden Testkompetenz. Oder beispielsweise über den weltweit größten Hochbegabten-Verein MinD (Mensa in Deutschland e.V.). Dessen Regionalorganisationen bieten regelmäßig im gesamten Gebiet der Bundesrepublik IQ-Gruppentests an. Der Test ist erstaunlich preiswert und in ca. 14 Tagen nach dem Testtermin hat man Gewissheit. Man kann hinterher noch ein Profil anfordern, das einem ausführlich die Unterschiede in den verschiedenen Intelligenzbereichen erläutert. Das Ganze ist unschlagbar günstig, weil ehrenamtlich betreut und ohne Gewinnabsicht als Gruppentest betrieben. Der Test kostet derzeit 49,00 Euro, die Profilauswertung 60,00 Euro zusätzlich.

Was ist eigentlich der „IQ“?

Der IQ (Intelligenzquotient) gibt die Lage eines Leistungswertes in bestimmten Testverfahren relativ zur Bevölkerung, bzw. einer Altersgruppe an. Standardisierte Testverfahren, welche die „allgemeine Intelligenz“ erfassen, beinhalten verbale, numerische und figurale Aufgabengruppen. Die Ergebnisse stellen den Vergleich zu einer großen „Eichstichprobe“ dar. Der Mittelwert ist hierbei definitionsgemäß 100, d.h. 50 % der Bevölkerung liegen in der Leistung in diesem Test darüber oder darunter. Ein Wert von 130 bedeutet z.B., dass nur noch 2 % der Bevölkerung den Test mit einem besseren Ergebnis abschließt. Dies ist auch die allgemein gebräuchliche Grenze zur „Hochbegabung“.

Lernen, die eigenen Ressourcen zu nutzen – vor allem auch im Job

Was auf jeden Fall entscheidend ist – unabhängig von der absoluten Höhe des IQ – Lernen, die eigenen PS auf die Straße zu bringen. Dazu ist es sinnvoll, einen wirklich eigenen Weg zu(er)finden. Eigene Interessen, Neigungen, Kompetenzen konsequent zu verfolgen und Anderes, das stört, die eigene Entwicklung irritiert, zu unterlassen. Dazu gehört die Beschäftigung mit lange nachwirkenden Erziehungsbotschaften, mit der eigenen Lerngeschichte, mit eigenen Überzeugungen.

Und die genaue Analyse, in welchen Alltagssituationen welche „Software“ wirksam ist und mit welchem Ergebnis. Die können hilfreich, aber eben manchmal auch hinderlich sein. Gut ist, wenn man sich dabei Unterstützung z.B. in Form anderer Hochbegabter oder eines auf Hochbegabung spezialisierten Coaches holen kann.

Die besondere Schwierigkeit, den Standpunkt der Anderen nachzuvollziehen, den man eigentlich im ersten Moment überhaupt nicht versteht, gilt es zu meistern. Wichtig ist eine Grundhaltung, die einem sagt: Ich muss mich bemühen, die anderen Perspektiven zu verstehen, die anderen 98% werden nicht ohne Weiteres meine Perspektive einnehmen wollen (oder können). Und schließlich ist das Kunststück zu vollbringen, sich selber Freiraum zu schaffen, indem man Chefs und Kollegen möglicherweise einweiht. Wenn dies gelingt, ohne das verhasste alte Muster wieder auftauchen, sondern es zu einem fruchtbaren Miteinander kommt, empfindet das nicht nur der Hochbegabte als Glück, sondern meist die anderen auch. Denn jede Arbeitsatmosphäre ohne Angst vor Intrigen und unüberschaubaren Konkurrenzkämpfen ist in der Lage, dem Einzelnen eine optimale Plattform zur Entfaltung von Leistung und Zufriedenheit zu ermöglichen – übrigens völlig unabhängig vom IQ.

Autor/in: Heinz-Detlef Scheer
Veröffentlicht am 7. Oktober 2011

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