Hirndoping für den Studienerfolg?

Hirndoping für den Studienerfolg?

Koffein ist kalter Kaffee: Heute dopen Studenten mit leistungssteigernden Medikamenten.

Nur noch wenige Tage bis zur Abgabe der Hausarbeit. Seit Wochen schon stapeln sich die Bücher auf dem Schreibtisch und dennoch ist am Ende des Tages lediglich die Wohnung geputzt und das Leergut endlich einmal zum Supermarkt gebracht. Ein erschreckter Blick auf den Kalender lässt ahnen, dass wieder mal nur eines hilft: eine Nachtschicht.

Studenten fühlen sich überfordert

Was klingt wie das Klischee des „prokrastinierenden Studenten“ entspricht dank der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge immer häufiger tatsächlich dem Alltag der Studierenden. Immer mehr Stoff in immer weniger Zeit: Fast jeder vierte Student fühlt sich durch die hohen Leistungsanforderungen an der Uni überfordert. Das ergab eine repräsentative Studie der Uni Konstanz. Hausarbeiten, Klausuren, mündliche Prüfungen und nebenbei arbeiten, um die Studiengebühren bezahlen zu können – da geht manchem Studenten trotz Kaffee und Energy Drinks die Luft aus. Abhilfe für gestresste Studenten schafft die Pharmaindustrie.

Kaffee ist out, Ritalin ist in

Eines der „Wundermittel“ heißt Ritalin. Das Medikament wird laut Beipackzettel genommen bei „beeinträchtigter Aufmerksamkeit, Ablenkbarkeit, Lernschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsmangel“ – Symptome, die vermutlich auf viele Studenten in der Lernphase zutreffen. Eine Tablette macht für etwa vier bis sechs Stunden wach und konzentriert und schafft damit sowohl Motivations- als auch Zeitprobleme aus der Welt.

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Grund dafür ist der Wirkstoff Methylphendidat, der Müdigkeit beseitigt, die körperliche Leistungsfähigkeit steigert und Warnsignale der Körpers, wie Müdigkeit und Hunger hemmt. E-Mails lesen, surfen oder die Wohnung putzen anstatt zu lernen – nach all diesen Dingen verspürt der „gedopte“ Student plötzlich kein Bedürfnis mehr. Statt dessen gelingt es ihm, sich vollkommen auf nur eine Sache zu konzentrieren – wie z.B. die Hausarbeit, die am nächsten Tag abgegeben werden muss.

Methylphendidat vs. Prokrastination

Die ideale Alternative zu Koffein also – wäre da nicht die letzte Zeile des Beipackzettels, die verlauten lässt, für wen das Medikament tatsächlich bestimmt ist: „Kinder ab 6 Jahren“. Denn Ritalin ist ein Medikament, das Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verschrieben bekommen, damit sie in der Schule konzentriert arbeiten können.
Und auch die Liste an Nebenwirkungen, die laut Beipackzettel „schwerwiegend“ sein können, macht nach erster Euphorie wenig Lust auf einen Medikamenten-gepushten Endspurt im Studium: Kopfschmerzen, Nervosität, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Panikzustände, Magenbeschwerden, Herz-Kreislaufbeschwerden und „sehr selten“ auch plötzlicher Herztod. Deshalb unterliegt das Medikament, das zur Therapie von Kranken bestimmt ist, einer besonderen Verschreibungspflicht – und wird dennoch von immer mehr gesunden Menschen zum „Hirndoping“ eingenommen. [insert related]

Der Trend geht zum leistungssteigernden Medikament

Wie viele Studenten sich in Deutschland tatsächlich mit leistungssteigernden Mitteln wie dem Wirkstoff Methylphendidat dopen, ist nicht bekannt. Herübergeschwappt ist dieser Trend jedoch aus den USA – und da liegen die Zahlen der Akademiker, die im Laufe ihres Lebens einmal leistungssteigernde Mittel nutzen nach einer Umfrage der Zeitschrift „Nature“ bei rund zwanzig Prozent. Zahlen, die von den Verkaufszahlen der betreffenden Medikamente bestätigt werden – diese haben in den vergangenen Jahren zunächst in Nordamerika und schließlich auch in Europa stark zugenommen.

Deutsche Schüler und Studenten zu „Hirndoping“ bereit

Lediglich eine Studie darüber, wie Studenten und Schüler dem „Hirndoping“ gegenüber eingestellt sind, gibt es. 2010 befragten Forscher der Universität Mainz erstmals rund 1.500 Schüler und Studierende aus Hessen und Rheinland. Darunter 512 Studierende aus drei verschiedenen Fakultäten der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, die bereits ihr Vordiplom, Zwischenexamen oder die Zwischenprüfung abgeschlossen haben.

Das Ergebnis erschreckt und bestätigt die Befürchtungen, die viele Experten hegen: Deutsche Schüler und Studenten sind zu Hirndoping bereit. Auch 80 Prozent der deutschen Schüler und Studenten würden bedenkenlos zur aufputschenden Pille greifen, wenn sie keine Nebenwirkungen oder Langzeitschäden hätte. Rund 4 % der Teilnehmer haben bisher bereits mindestens einmal versucht, ihre Konzentration, Aufmerksamkeit oder Wachheit durch die Einnahme legaler oder illegaler Substanzen zu steigern.

Ähnliches zeigt eine Umfrage auf der Internetplattform der Zeitschrift „Gehirn & Geist“, nach der rund 60% der 170 Teilnehmer Mittel zur Steigerung der Leistungsfähigkeit nehmen würden, wenn keine Nebenwirkungen zu befürchten wären.

Vorbereitung der Studenten auf einen gedopten Arbeitsmarkt

Studenten erhoffen sich durch Ritalin vor allem einen guten Abschluss und somit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Einem Arbeitsmarkt der, wie der Gesundheitsreport 2009 der Krankenkasse DAK zeigt, ebenfalls auf „Hirndoping“ setzt. Denn eine schnelle Auffassungsgabe, Ausdauer und vor allem Stressresistenz sind auch auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Um dem gerecht zu werden greifen auch Gesunde gerne einmal zu Medikamenten.
So bestätigten in der Befragung der DAK fünf Prozent der rund 3.000 befragten Erwerbstätigen zwischen 20 und 50 Jahren, bereits einmal ohne medizinische Erfordernis zu leistungssteigernden oder stimmungsaufhellenden Medikamenten gegriffen zu haben. Vier von zehn „Dopern“ nehmen die Medikamente sogar täglich bis mehrmals wöchentlich ein. Ebenfalls vermutet die DAK, dass der Gebrauch unter Akademikern besonders hoch ist und oft im Studium beginnt.

Doping auf Rezept

Der Konsum von Ritalin funktioniert jedoch nur mit einem Rezept. Und das scheint man leichter zu bekommen, als manch illegale Droge. Der DAK-Gesundheitsreport 2009 (1,8 MB) zeigt: Für mehr als ein Viertel der erwerbstätigen DAK-Versicherten erfolgte die Therapie durch Methylphenidat ohne dokumentierte Erkrankung. DAK-Chef Herbert Rebscher warnt im Gesundheitsreport vor diesem Trend: „Konzentriert, kreativ, karrierebewusst: Der Wunsch, immer perfekt sein zu müssen, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen“.

Sind Ritalin-Konsumenten wirklich erfolgreicher?

Ob Ritalin-Konsumenten ihr Studium besser abschließen, ist ebenso unklar wie die Nebenwirkungen der Medikamente auf lange Sicht. Der gesunde Menschenverstand lässt jedoch ahnen: Dauerhaft wenig Schlaf und stetige Leistung, das kann weder gesund für Körper, noch für das Gehirn sein. Zudem unterdrückt das Methylphenidat Durst und Hunger, jegliche Warnsignale des Körpers werden nicht mehr wahrgenommen. Auch führt es dazu, dass der Student seine eigenen Fähigkeiten falsch einschätzt. Solange er sich am Schreibtisch befindet ist das lediglich gefährlich für ihn selbst – wechselt er jedoch z.B. in den Straßenverkehr, steht auch die Gesundheit anderer auf dem Spiel. Und dies rechtfertigt weder ein Motivations-, noch ein Zeitproblem.

Autor/in: Sarah Dreyer
Veröffentlicht am 18. Februar 2011

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