Ghostwriting vs. Lektorat

Ghostwriting vs. Lektorat

Guttenberg, Koch-Mehrin, Saß – die öffentlichen Plagiatsskandale haben vor allem eins gelehrt: Wer kopiert, fliegt (auf)! Kai Stapelfeldt, Leiter des Vereins studi-coach e.V. erklärt, warum Lektorate mehr bringen als Ghostwriter und was sich seit Guttenberg verändert hat.

bildungsXperten: Herr Stapelfeldt, Sie leiten den Verein studi-coach e.V. und bieten auf Ihrer Seite www.studi-lektor.de Lektorat und Coaching für wissenschaftliche Arbeiten an. Bitte stellen Sie sich und den Verein kurz vor.

Kai Stapelfeldt

Kai Stapelfeldt, Leiter von studi-coach e.V.

Kai Stapelfeldt: Wir sind ein überregionales Team von 70 berufserfahrenen Akademikerinnen und Akademikern aller Fachrichtungen, die Studenten unterstützen. Das Angebotsspektrum des Vereins studi-coach e.V reicht von Kursen zur wissenschaftlichen Methodik, über das individuelle Telefoncoaching und das Lektorat für Abschlussarbeiten wie der Bachelorarbeit.

bildungsXperten: Immer mehr Studenten scheinen sich nicht mehr selbst mit ihren Abschlussarbeiten auseinandersetzen zu wollen, sondern engagieren lieber einen Ghostwriter, der die Arbeit für sie schreibt. Was ist der Unterschied zwischen dem, was Sie im Lektorat tun und dem, was Ghostwriter tun?

Kai Stapelfeldt: Ghostwriter schreiben im Auftrag von Studenten deren Arbeiten. Das hört sich erst einmal nach einer Entlastung an, ist aber illegal und wird häufig zu einer Belastung für den Studenten.

Der Wissenschaftslektor nimmt den Text vom Studenten, liest, verbessert und gibt Vorschläge zur Optimierung. Ein einfaches Lektorat zielt auf die Optimierung von Rechtschreibung, Interpunktion und Stil. Beim wissenschaftlichen Fachlektorat wird auch die Struktur und Wissenschaftlichkeit der Arbeit überprüft. Durch diese legale Unterstützung im Rahmen des Lektorates lernt der Autor, erkennt Schwächen in der Arbeit, erhält Anregungen und gibt als Ergebnis eine qualitativ bessere Arbeit ab.

bildungsXperten: Aber auch Sie bekommen sehr oft Anfragen von Studenten, die eigentlich einen Ghostwriter suchen. Was sind es für Menschen, die nach Ghostwriting-Angeboten fragen? Und was bewegt diese Menschen dazu?

Kai Stapelfeldt: Es gibt unterschiedliche Beweggründe. Da sind z.B. die kühl kalkulierenden Studenten:  Diese rechnen für sich einfach durch: Was bringt es mir für meine Karriere, eine gute oder sehr gute Note in der Abschlussarbeit zu bekommen? Wie viel Geld kann ich in der Zeit, die eigentlich für das Schreiben der Arbeit genutzt werden soll, verdienen? Der typische Vertreter dieser Kategorie ist ein Aufsteiger, kommt nicht aus einer Akademikerfamilie und studiert ein stark berufsqualifizierendes, oft technisches Fach. Er hat in anderen Lebenssituationen gelernt, sich durchzuschlagen – auch mit ungewöhnlichen Methoden – und ist der guten, akademischen Arbeitsweise nicht verpflichtet.

Wir erhalten verstärkt Anfragen im Frühling oder Frühsommer, sobald das Wetter schön wird. Es kommt dann zu folgendem Gedankengang: „Warum den ganzen Sommer am Schreibtisch verbringen nach dem ganzen Stress des Examens? So eine Seminar- oder Abschlussarbeit kann man doch sicher kaufen.“ Diese Gruppe hat den jüngsten Altersdurchschnitt, besteht fast nur aus Männern, überwiegend Juristen und BWL’lern aus wohlhabenden Familien. Viele lassen sich vom Ghostwriting abbringen, wenn ihnen die Nachteile eindeutig vor Augen geführt werden.

Wir bekommen auch immer wieder Anfragen von Menschen in psychischen Notsituationen. In dieser Gruppe begegnen uns oft Schicksale, die uns berühren. Und manchmal können wir diesen Leuten helfen – aber nicht als Ghostwriter. Oft sind es Menschen, die sprachliche Schwierigkeiten haben und einem sehr hohen Erwartungsdruck entsprechen müssen. Oder wir treffen auf Menschen, die gerade eine nervenzehrende Umbruchphase durchlaufen.

Da sind zum Beispiel die Fälle von Studierenden, für die Deutsch eine Fremdsprache ist und die ausgerechnet in der Abschlussphase des Studiums an ihre Grenzen stoßen. Diese Studenten haben häufig ihren Professoren schon einen Text aus ihrer Arbeit geschickt und ein vernichtendes Urteil bekommen. Sie sehen sich außerstande, den Ansprüchen des Professors zu genügen, möchten aber ihr Studium natürlich abschließen. Gerade Studenten aus dem Ausland, die das Studium nur finanzieren konnten, weil ihre Eltern große finanzielle Opfer gebracht haben, stehen unter einem immensen Druck.

bildungsXperten: Was sind die scheinbaren „Vorteile“ vom Ghostwriting, aus welchem Grund gehen immer wieder Menschen dieses Risiko ein?

Kai Stapelfeldt: Ghostwriting sieht auf den ersten Blick für viele sexy aus. Jemand anderes schreibt für mich meine Arbeit, wow. Außerdem versprechen Ghostwriter sehr viel, viele haben aber eine Geschäftspraktik, die im krassen Widerspruch zu diesen Versprechen steht. So ist es unter diesen Geistern gängig, Textblöcke aus dem eigenen Fundus wiederzuverwenden, um weniger Arbeit mit dem Schreiben zu haben.

Wir erleben Studenten, die Ghostwriter abtelefonieren, um den „besten Preis“ herauszufinden. Wenn wir dann am Telefon fragen: „Meinen Sie denn, dass ein Ghostwriter für 500 Euro eine 25-seitige Seminararbeit ganz neu schreibt, ohne Textblöcke aus anderen Arbeiten wieder zu verwenden?“ erhalten wir als Antwort oft Schweigen oder auch ein entrüstetes: „Das können die doch nicht machen, ich mache doch einen Vertrag!“

Ich denke da bei mir: Es ist erstaunlich, dass Menschen einen Betrüger engagieren wollen und dabei gar nicht damit rechnen, von einem Betrüger betrogen zu werden. Die Ghostwriter schreiben in ihren AGBs meist recht klein gedruckt sinngemäß: Die von uns erstellten Texte sind als Anregung für eigenes wissenschaftliches Arbeiten gedacht und dürfen nicht an Hochschulen eingereicht werden. Da werden von Ghostwritern Arbeiten mit Copy-und-Paste zusammenkopiert und der Ghostwriter begeht noch nicht einmal einen im juristischen Sinne schweren Betrug. Das Risiko trägt alleine der Student.

bildungsXperten: Was raten Sie diesen Menschen? Angenommen ich merke, dass ich meine Abschlussarbeit nicht in der vorgegebenen Zeit schaffen kann, welche Möglichkeiten bleiben mir, anstatt einen Ghostwriter zu beauftragen?

Kai Stapelfeldt: Es geht tatsächlich vielen Studenten so, dass sie im Laufe der Arbeit an einem Punkt kommen, an dem sie denken: „Ich schaffe das nicht“. So melden sich bei uns jedes Jahr weit über  1.000 Studenten per E-Mail oder Telefon. Es ist wert, einmal ausgesprochen zu werden: Sehr viele Studenten erleben bei der Bachelorarbeit Phasen der Frustration. Aber über 99% der Studenten, mit denen wir in Kontakt stehen, bewältigen die Arbeit schlussendlich erfolgreich! Lass dich nicht unterkriegen, verzweifele nicht! Du wirst es auch schaffen, wie Generationen von Studenten vor dir.

Du stehst ganz am Anfang der Arbeit, oder hast mittendrin den Pfad verloren und deine Betreuer an der Hochschule bietet nicht genug Unterstützung? Suche dir einen berufserfahrenen Akademiker deiner Fachrichtung. Eine Liste findest du unter Mentoren und Hilfe.

Ist deine Abschlussarbeit bereits fast fertig und du vermagst nicht abzuschätzen, ob der Inhalt deinem Prüfer gefällt, ob du das Thema gut getroffen hast? Sprich einen Wissenschaftslektor an, der dein Thema gut nachvollziehen kann. Idealerweise einen erfahrenen Kollegen, welcher dasselbe wie du studiert hat. Diese kann dir ein Feedback geben, bevor du die Arbeit beim Prüfer einreichst.

Bist du nicht so rechtschreibsicher, suche dir einen Germanisten oder Geisteswissenschaftler. Dieser kann Rechtschreibfehler und stilistische Unebenheiten beseitigen. Hat dich eine richtige Schreibblockade gepackt oder du findest keine Ruhe, um dich auf die Abschlussarbeit zu konzentrieren, gibt es auch Hilfe. Zum Beispiel das Schreibhaus Hamburg.

Ich möchte hier allen Studierenden zurufen: Ihr seid nicht allein!

bildungsXperten: Der Fall Guttenberg hat gezeigt: Am Ende kommt Plagiarismus doch ans Licht und der teuer erworbene Titel wird wieder aberkannt. Welche Gefahren beinhaltet Ghostwriting außerdem noch?

Kai Stapelfeldt: Zuerst nimmt man sich selbst das Erfolgserlebnis, seine Abschlussarbeit selbst geschrieben zu haben. Leider gibt es dieses Erfolgserlebnis ähnlich wie beim Sport treiben nicht ganz umsonst. Man kommt beim Schreiben ins Schwitzen. Gleichzeit übt man das Schreiben, der „Schreibmuskel“ wird trainiert. Beim nächsten anspruchsvollen Schriftstück oder Konzept, z.B. im Berufsleben, kann man dann auf diese Erfahrung zurückgreifen. Die Fähigkeit zu schreiben und zu strukturieren ist wichtig für den späteren Erfolg im Beruf.

Auch einen Bachelortitel zu verlieren, kann weitreichende Konsequenzen haben. Viele Firmen wie z.B. Unternehmensberatungen kündigen ihren jungen Mitarbeitern, wenn sich herausstellt, dass sie sich ihren Titel erschlichen haben. Akademisches Ghostwriting ist einfach eine Form des Betruges.

bildungsXperten: Bleiben wir bei Guttenberg, der Ghostwriting und Plagiarismus ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt hat. Gibt es seitdem mehr oder weniger Anfragen für Ghostwriting bei Ihrem Lektorat?

Kai Stapelfeldt: Seit dem Start der Affäre zu Guttenberg sind diese unerwünschten und ärgerlichen Anfragen von Menschen, die einen akademischen Titel erwerben wollen, ohne selbst Schweiß und Mühen auf sich zu nehmen, versiegt. Das ist einfach toll! Vielen Dank, Herr (Dr.) zu Guttenberg!

bildungsXperten: Wie ist der Ablauf, wenn ich mich für das Lektorat bei studi-lektor entscheide? Kann ich meine Arbeit auch noch in letzter Sekunde lektorieren lassen?

Das Team von studi-coach e.V.

Das Team von studi-coach e.V.

Kai Stapelfeldt: Wir können viel möglich machen, da wir sehr viele Lektoren beschäftigen. Bei 90% der Anfragen für Lektorate, die zwei oder drei Tage vor Abgabe kommen, können wir noch helfen. Auch können wir Abschlussarbeiten, die beispielsweise mit Microsoft Word geschrieben sind, in eine ansprechende Form bringen. Das Inhaltsverzeichnis gerade rücken, die Absätze und Überschriften formatieren (…). Das spart dem Studierenden kostbare Zeit, wenn es mit dem Abgabetermin eng wird.

bildungsXperten: Reicht es nicht, wenn Kommilitonen, Freunde und Familie die Abschlussarbeit Korrektur lesen?

Kai Stapelfeldt: Auf Freunde oder Familie zurück zu greifen macht Sinn, wenn diese richtig eingesetzt werden. Um Rechtschreib- und Tippfehler zu finden, eignet sich auch jemand, der mit dem Thema gar nicht oder wenig vertraut ist. Um die Frage zu beantworten: „Wird meine Arbeit meinem Professor gefallen“ brauchen Sie hingegen einen berufserfahrenen Akademiker ihrer Fachrichtung. Jemand, der im Lektorat nicht geübt ist, schafft bei einer sorgfältigen Kontrolle des Textes pro Stunde etwa 5 Seiten. Auch wird er ein paar Fehler übersehen, das sollten Sie ihm nicht übel nehmen. Wenn Sie Freunde ansprechen, sollten Sie diese auf den Zeitbedarf aufmerksam machen.

bildungsXperten: Auf Ihrer Seite kann man sich einen von 70 Experten aussuchen, der die Arbeit lektorieren soll. Was zeichnet diese Experten aus? Muss man bestimmte Bedingungen erfüllen, um bei Ihnen tätig zu sein? Arbeiten diese Menschen hauptberuflich für Sie?

Kai Stapelfeldt: Die meisten meiner Kollegen bei studi-lektor.de sind Dozenten an Hochschulen oder kommen aus wissenschaftlichen Fachverlagen. Einige sind Vollzeit als Lektoren und Coaches tätig. Andere sind wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen und betreuen nebenberuflich und überregional Studierende. Auch haben wir ein paar emeritierte, also aus dem Berufsleben ausgeschiedene Professoren in unseren Reihen, die über sehr viel Erfahrung verfügen. Ein Bewerber sollte über mindestens fünf Jahre Berufserfahrung und ein paar Referenzen verfügen. Der Altersdurchschnitt im Team liegt derzeit bei ca. 45 Jahren. Es sind also viel „alte Hasen“ dabei, die ihr Wissen gerne an die nächste Generation von Akademikern weitergeben. Wissen an Studierende weiter zu geben, ist tatsächlich der Hauptgrund für die meisten Experten, für uns tätig zu sein.

bildungsXperten: Sie bieten auch Coaching an – was kann man dort lernen?

Kai Stapelfeldt: Unsere Coaches arbeiten so ähnlich wie der Betreuer an der Hochschule. Sie sind Gesprächspartner, Wegweiser und Berater.

Sie sprechen am Telefon mit dem Studierenden über die Fragestellung, Gliederung, den Aufbau der Arbeit und bewahren Studierende vor Umwegen bei Bachelorarbeit und Master-Thesis. Allerding gibt es bei uns kein hierarchisches Gefälle wie an der Hochschule. Die Atmosphäre ist entspannt und der Coach hat mehr Zeit für den Studenten. Wenn es für die Arbeit notwendig ist, kann der Studierende auch einmal fünf Gespräche von jeweils einer Stunde Länge über mehrere Wochen verteilt in Anspruch nehmen. Diese Intensität der Betreuung geht allerdings über das hinaus, was ehrenamtlich möglich ist, so nehmen wir eine Gebühr.

bildungsXperten: Vielen Dank für das interessante Interview!

Das Interview führte Sarah Dreyer

Autor/in: Kai Stapelfeldt
Veröffentlicht am 27. Juni 2011

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